Trouble in Paradise
oder
Hollywoods andere Frauen
Wie für einen Mann führt auch für eine Frau der einzige Weg zu sich selbst über schöpferische Arbeit. Es gibt keinen anderen Weg.
Betty Friedan
Genauso für eine Frau wie für einen Mann ist diese Arbeit (im Film) möglich, faszinierend und lohnend.. ., der Weg zu Ruhm und Glück.
Alice Guy

Hollywood, California. Ein enger Ort mit 200 000 Einwohnern, begrenzt von den Bergen im Norden und dem Beverly Boulevard im Süden. Seit 1910 Stadtteil von Los Angeles City. Eine runtergekommene Gegend, die vom Glanz vergangener Tage träumt. Die Straßen, zumindest die abseits der Boulevards und Avenues, sind angeschmuddelt. Gegen den Eindruck von Verfall vermögen auch die gelegentlichen Anstrengungen, das ramponierte Image der Stadt wieder aufzufrischen, kaum etwas auszurichten. Weder der Walk of Fame mit seinen Messingsternen und den Starnamen in den Gehwegplatten, der seit den Fünfzigern allmonatlich um ein paar Sternchen erweitert wird, noch das eigentliche Wahrzeichen der Stadt, das weltbekannte, 15 Meter hohe und zehnmal so lange H-O-L-L-Y-W-O-O-D auf dem Mount Lee. Erst im Sommer 1978 wurde die 1923 von Grundstücksmaklern errichtete, im Lauf der Zeit völlig verrottete Reklametafel, deren ursprünglicher Schriftzug „Hollywoodland“ lautete, mit großem Aufwand renoviert. Aber den Hauch von Wehmut und Nostalgie, der auf dem Ort lastet, können all diese kosmetischen Operationen nicht verscheuchen.
Sicher, es macht immer noch Spaß, den Sunset entlang zu fahren oder über den Hollywood Boulevard zu spazieren. Hier befinden sich die Arsenale, in denen ein anderes Hollywood begraben liegt: die Filmbuchläden und -antiquariate, die ihre großen Schätze an Büchern, Pressemappen, Scripts, Stills und Poster aus allen Epochen der Filmgeschichte feilbieten und zur Spurensuche einladen. Hier findet man auch die T-Shirt-Händler, die den Mythos auf ihre Weise kannibalisieren, indem sie die Signets der einst glorreichen Studios auf billige Hemden – Made in Taiwan – aufbügeln und für ein paar Dollars verkaufen. Einen Block weiter stößt man unweigerlich auf Mann’s Chinese Theater, das berühmte Kino im Pagodenstil, vor dem sich, als es noch Grauman’s Chinese hieß, die Kinostars mit ihren Fuß- und Handabdrücken im noch feuchten Zement verewigen konnten.
Mehr und mehr jedoch bestimmen die Spielhallen, die Pornoschuppen und die Burger Kings das Bild, die Junkies und die Obdachlosen der „skid row“, der Straße der ewigen Verlierer. Das alles beunruhigt, ist aber – bei Tage – ohne Gefahr; nur nachts sollte man sich nicht unbedingt dort sehen lassen. Hollywood, ein Dorado für Touristen und für naive Glücksjäger, wo die einen wie die anderen voller Erwartungen ankommen und von wo sie um ein paar Illusionen ärmer wieder verschwinden. Wie gut, daß es das andere Hollywood gibt.
Hollywood, Movieland. Ein mythischer Ort ohne feste Grenzen, mit einem dreiviertel Jahrhundert kinematographischer Tradition. Wenn auch die Wechselfälle seiner Geschichte, die zahlreichen Ups and Downs, eher einem Jo-Jo anstünden, wenn sein Zenit auch längst überschritten ist – Hollywood hat überlebt, existiert weiter. Hollywood als Metapher. Hier wurden und werden immer noch die weltweit gültigen ästhetischen und produktionstechnischen Standards des Erzählkinos festgelegt. Und selbst wenn in New York ein zweites Produktionszentrum heranwächst und die USA froh sein müssen, hinter Indien und Japan den dritten Platz in der Jahresproduktion an Spielfilmen halten zu können: in den Köpfen der Zuschauer und Macher ist Hollywood noch immer der Nabel der Filmwelt. Es beeinflußt die Sehgewohnheiten auch außerhalb Amerikas und selbst außerhalb westlicher Zivilisation. Man kann es lieben und bewundern, ablehnen oder hassen, nur ignorieren kann man es nicht. An diesem Kino kommt man nicht vorbei. Selbst diejenigen, die sich aufmachen, die herrschenden Sehgewohnheiten zu durchbrechen, reflektieren noch seinen Einfluß.
Hollywood ist die Drehscheibe der Stars und Regiegrößen, die hier heimisch sind, ohne hier zu wohnen. Seit Ende der zwanziger Jahre sind sie weggezogen, zuerst ins nahe Beverly Hills und Bei Air, dann weiter westlich nach Brentwood oder draußen nach Malibu; oder sie leben nun auf einer Ranch in Nevada oder in einem Luxusapartment am Central Park West auf der Insel Manhattan. Auch die Studiokomplexe, bis auf die von Paramount und ein paar kleinere, haben längst keinen Raum mehr in Hollywood, auch sie sind ausgewichen in umgebende Stadtteile und Vororte wie Burbank oder Culver City.
Ein kulturelles oder geistiges Zentrum läßt sich hier nicht ausmachen. Es ist das Mekka der Gesundheitsanbeter und Jugendlichkeitsfanatiker, der Schau-Platz der ewig Sonnengebräunten und Jogginggestählten. Der einzige Vorteil dieses Staates Kalifornien scheint tatsächlich – so packt es der „Stadtneurotiker“ von New York, Woody Allen, in eine spöttische Formel – darin zu liegen, daß man an der Verkehrsampel bei Rot rechts abbiegen darf. Hollywood ist intellektuelle Provinz, und wer mehr sucht als oberflächliche Parties und Barbecues, wer Gespräche jenseits von Mode, Gesundheit und Geldverdienen – und jenseits von Film – führen will, der dürfte sich an der Ostküste wohler fühlen. Kein Wunder also, daß die, die mit Hollywood und dem ganzen Sonnenstaat Kalifornien über Kreuz liegen, daß nahezu alle der in diesem Buch versammelten Frauen lieber in New York gelebt haben oder leben und immer wieder dorthin geflüchtet sind.
Warum gerade Hollywood? Warum wurde hier die Illusionsmaschine aufgeschlagen, wo doch die Wiege des amerikanischen Films an der Ostküste stand? Dies hatte, wie im übrigen nahezu alles in der Geschichte des US-Kinos, handfeste ökonomische Gründe – gepaart mit einer Portion Zufall. Die ersten der noch primitiven Filmstreifen wurden – bis in die zehner Jahre unseres Jahrhunderts hinein – überwiegend in New York und Umgebung heruntergekurbelt, dort, wo das Finanzzentrum der USA steht. Aber 1905 schon hatte sich das Jahrmarktsvergnügen zu einem einträglichen Geschäft entwickelt, und der einsetzende Konkurrenzkampf war heftiger geworden. Die Erfinder, Pioniere und Gerätehersteller schlössen sich daraufhin 1909 zur Motion Picture Patents Company (MPPC) zusammen. Der Trust reklamierte für sich sämtliche Patente und weigerte sich, an „Unabhängige“ Lizenzen zu erteilen. Seine Widersacher verfolgte er mit allen Mitteln: per gerichtliche Verbote, Klageandrohungen und Beschlagnahmungen und auch, wenn dies alles nicht fruchtete, mit angeheuerten Revolvermännern. Die schössen dann Löcher in die Kameras der illegal arbeitenden Filmcrews und trafen dabei auch schon mal einen Kameramann oder Darsteller.
Für die Independents empfahl es sich, aus der Gegend um New York zu verschwinden und nach Florida, Kuba oder Kalifornien auszuweichen. Besonders Südkalifornien bot Vorteile: Dort schien fast das ganze Jahr über die Sonne (auf die man beim Drehen angewiesen war), dort gab es abwechslungsreiche Landschaften. Grund und Boden waren nicht teuer, es war weit genug von New York und den MPPC-Monopolisten und nah genug an der Grenze nach Mexiko, wohin man sich schnell absetzen konnte, falls die Lage einmal allzu brenzlig wurde.
So stießen die Filmleute auch auf ein Nest namens Hollywood, wo günstig Land angeboten wurde. Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem Grundstücksspekulanten Harvey Henderson Wilcox gegründet worden. Seine Frau hatte auf einer Bahnreise den Namen „Hollywood“, was Stechpalmenwald bedeutet, aufgeschnappt, den sie als hübsch und wohlklingend empfand. Jedenfalls mehr als „Cahuenga Valley“, in dem das Ranchhaus der Wilcox stand. Sie taufte ihr Heim auf den neuen Namen, und ihr Mann benutzte ihn für sein riesiges Neusiedlungsgelände in der Nähe. Die Siedler ließen sich dort wie gewünscht nieder, und 1903 war Hollywood eine prosperierende Kleinstadt. Bereits vier Jahre später verschlug es die erste Filmcrew hierher, und im Jahre 1911 gründete die Nestor Company am Sunset Boulevard das erste Filmstudio. Im selben Jahr noch entstanden in dem 5000-Seelen-Ort 15 weitere Studios. Aus Hollywood, California, wurde Hollywood, die aufstrebende Filmkolonie.
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Der Aufstieg Hollywoods zur Filmmetropole war jedoch nicht die einzige Auswirkung des „Patentkrieges“. Ein anderes, das Gesicht (nicht nur) der amerikanischen Filmindustrie prägendes Phänomen entsprang ebenfalls dem Konkurrenzkampf zwischen Monopolisten und Unabhängigen: der Star. Bis 1910 hatten die Studios des Trusts stets zu verhindern gewußt, daß die Darsteller und Darstellerinnen der Filmstreifen eine ähnliche Popularität erlangen könnten wie etwa die Theatergrößen am Broadway. Einzig der Name der Produktionsfirma sollte das Qualitäts- und Markenzeichen sein, das Zuschauer in die Kinos lockte. Man hielt die Filmakteure in der Anonymität. Alle neugierigen Anfragen von Kinogängern nach Informationen über die Darsteller wurden von den Studios negativ beschieden. Doch die Zuschauer spielten bei dieser Marktpolitik nicht mit. Sie kürten sich ihre Leinwandlieblinge selbst und gaben ihnen eigene Namen: Sie sprachen vom Biograph- oder Vitagraph-Girl, vom Fat Guy oder von Little Mary, dem „Verführer“ oder dem „Mann mit den traurigen Augen“.