2. Januar 1986

Rebellin in Hollywood. 13 Porträts des Eigensinns (Mit Uta van Steen)


Vorbemerkung

Wie in keinem anderen Bereich kultureller Produktion sehen sich Frauen im kommerziellen Erzählkino großen Widerständen ausgesetzt. Dies gilt in besonders hohem Maße für dessen fortgeschrittenste (aber nicht fortschrittlichste) Erscheinungsform, den Hollywood-Film. Gerade in der amerikanischen Filmindustrie sind individualistisch-künstlerische Bedürfnisse mehr noch als sonst dem Verwertungsinteresse nachgeordnet. Filmemachen ist ein Geschäft wie (beinahe) jedes andere, und hier herrschen die Gesetze des Marktes.
Hinzu kommt für Frauen als zweite Schwierigkeit, daß der Hollywood-Film ein durch und durch männliches Kino ist. Mehr als jede andere vergleichbare Industrie sperrt sich der Film in den USA gegen den weiblichen Zugriff. Frauen sind einzig in bestimmten „Nischen" zugelassen, hauptsächlich als Darstellerinnen und Stars. Aber selbst dann noch sind den Freiräumen enge Grenzen gesetzt; das Patriarchat formt auch die Filminhalte, die Frauenrollen auf der Leinwand nach seinem (Zerr-)Bild. In der Darstellung der Frau regiert das Klischee. Zu anderen Sparten der Filmproduktion – Regie, Drehbuch, Produktion, Kamera – sind Frauen fast gar nicht zugelassen. Die wenigen Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen oder Produzentinnen, die sich in Hollywood für länger behaupten konnten oder können, bezahlten dies häufig mit hoher Anpassungsbereitschaft und nicht selten mit völliger Verleugnung eigener Bedürfnisse.
Immer gab und gibt es auch heute eine Reihe von Frauen in Hollywood, die sich dem Anpassungsdruck verweigert haben, die eigensinnig den steinigen Weg der Selbstbestimmung nicht verlassen wollten, Dies sind die Frauen, die die Regeln des Patriarchats verletzt haben und die Gesetze des Marktes mißachtet: die „anderen" Frauen Hollywoods – und von ihnen handelt dieses Buch.
Die Porträts hierin, die Texte und Bilder, versammeln 13 Frauen aus der amerikanischen Filmgeschichte, acht Filmstars, drei Regisseurinnen und zwei Drehbuchautorinnen, die auf den ersten Blick nichts mit einander gemein zu haben scheinen. Mae West und Jane Fonda? Alla Nazimova und Shirley MacLaine? Claudia Weill und Lillian Hellman? Doch so unterschiedlich die einzelnen Frauen auch von Herkunft und Bewußtheitsstand sein mögen, so wenig sich ihre Lebenswege und -ziele auch gleichen mögen, sie verbindet, daß sie versuchten, sich im Hollywood-Film zu behaupten, ohne ihre Persönlichkeit zu verleugnen. Die nachgezeichneten Lebensläufe der Frauen aus allen Epochen des Dreivierteljahrhunderts Hollywood-Geschichte, die sich angepaßt zeigten oder radikal, erfolgreich waren oder tragisch endeten, ermöglichen in ihrer Gesamtheit eine Entdeckungsreise in eine weniger bekannte Seite der Filmgeschichte. Dabei geht es auch darum, ein wenig zurechtzurücken, daß der Anteil der Frauen an der Geschichte des Films, ihre Bedeutung für das Hollywood-Kino und darüber hinaus bis heute unterschätzt wird.
Vollständigkeit ist weder angestrebt noch letztlich erreichbar. Auch ließe sich über die Auswahl streiten. Im Zweifelsfalle gaben die persönlichen Vorlieben oder Abneigungen der Autoren den Ausschlag. Es kam uns darauf an, die Vielfalt des Protestes und dessen historische Entwicklung aufzuzeigen, und mehr als die Variation interessierte uns die jeweils authentischste Vertreterin einer bestimmten Haltung. Kein Lebensweg gleicht dem anderen, keine zwei Charaktere einander.

Für die Unterstützung bei der Klärung von Einzelfragen und die Bereitstellung von Fotos möchten die Autoren danken: Academy of Motion Picture Arts and Sciences (Beverly Hills), University of California Los Angeles, Beverly C. Thomas, Harry S. Gill und ganz besonders Claudia Weill.

aus: Paul Werner und Uta van Steen. Rebellin in Hollywood. 13 Porträts des Eigensinns. 4. Aufl. Frankfurt 1990: Zweitausendeins.

1. Januar 1986

Rebellin in Hollywood


Trouble in Paradise
oder
Hollywoods andere Frauen
Wie für einen Mann führt auch für eine Frau der einzige Weg zu sich selbst über schöpferische Arbeit. Es gibt keinen anderen Weg.
Betty Friedan
Genauso für eine Frau wie für einen Mann ist diese Arbeit (im Film) möglich, faszinierend und lohnend.. ., der Weg zu Ruhm und Glück.
Alice Guy

Hollywood, California. Ein enger Ort mit 200 000 Einwohnern, begrenzt von den Bergen im Norden und dem Beverly Boulevard im Süden. Seit 1910 Stadtteil von Los Angeles City. Eine runtergekommene Gegend, die vom Glanz vergangener Tage träumt. Die Straßen, zumindest die abseits der Boulevards und Avenues, sind angeschmuddelt. Gegen den Eindruck von Verfall vermögen auch die gelegentlichen Anstrengungen, das ramponierte Image der Stadt wieder aufzufrischen, kaum etwas auszurichten. Weder der Walk of Fame mit seinen Messingsternen und den Starnamen in den Gehwegplatten, der seit den Fünfzigern allmonatlich um ein paar Sternchen erweitert wird, noch das eigentliche Wahrzeichen der Stadt, das weltbekannte, 15 Meter hohe und zehnmal so lange H-O-L-L-Y-W-O-O-D auf dem Mount Lee. Erst im Sommer 1978 wurde die 1923 von Grundstücksmaklern errichtete, im Lauf der Zeit völlig verrottete Reklametafel, deren ursprünglicher Schriftzug „Hollywoodland“ lautete, mit großem Aufwand renoviert. Aber den Hauch von Wehmut und Nostalgie, der auf dem Ort lastet, können all diese kosmetischen Operationen nicht verscheuchen.
Sicher, es macht immer noch Spaß, den Sunset entlang zu fahren oder über den Hollywood Boulevard zu spazieren. Hier befinden sich die Arsenale, in denen ein anderes Hollywood begraben liegt: die Filmbuchläden und -antiquariate, die ihre großen Schätze an Büchern, Pressemappen, Scripts, Stills und Poster aus allen Epochen der Filmgeschichte feilbieten und zur Spurensuche einladen. Hier findet man auch die T-Shirt-Händler, die den Mythos auf ihre Weise kannibalisieren, indem sie die Signets der einst glorreichen Studios auf billige Hemden – Made in Taiwan – aufbügeln und für ein paar Dollars verkaufen. Einen Block weiter stößt man unweigerlich auf Mann’s Chinese Theater, das berühmte Kino im Pagodenstil, vor dem sich, als es noch Grauman’s Chinese hieß, die Kinostars mit ihren Fuß- und Handabdrücken im noch feuchten Zement verewigen konnten.
Mehr und mehr jedoch bestimmen die Spielhallen, die Pornoschuppen und die Burger Kings das Bild, die Junkies und die Obdachlosen der „skid row“, der Straße der ewigen Verlierer. Das alles beunruhigt, ist aber – bei Tage – ohne Gefahr; nur nachts sollte man sich nicht unbedingt dort sehen lassen. Hollywood, ein Dorado für Touristen und für naive Glücksjäger, wo die einen wie die anderen voller Erwartungen ankommen und von wo sie um ein paar Illusionen ärmer wieder verschwinden. Wie gut, daß es das andere Hollywood gibt.
Hollywood, Movieland. Ein mythischer Ort ohne feste Grenzen, mit einem dreiviertel Jahrhundert kinematographischer Tradition. Wenn auch die Wechselfälle seiner Geschichte, die zahlreichen Ups and Downs, eher einem Jo-Jo anstünden, wenn sein Zenit auch längst überschritten ist – Hollywood hat überlebt, existiert weiter. Hollywood als Metapher. Hier wurden und werden immer noch die weltweit gültigen ästhetischen und produktionstechnischen Standards des Erzählkinos festgelegt. Und selbst wenn in New York ein zweites Produktionszentrum heranwächst und die USA froh sein müssen, hinter Indien und Japan den dritten Platz in der Jahresproduktion an Spielfilmen halten zu können: in den Köpfen der Zuschauer und Macher ist Hollywood noch immer der Nabel der Filmwelt. Es beeinflußt die Sehgewohnheiten auch außerhalb Amerikas und selbst außerhalb westlicher Zivilisation. Man kann es lieben und bewundern, ablehnen oder hassen, nur ignorieren kann man es nicht. An diesem Kino kommt man nicht vorbei. Selbst diejenigen, die sich aufmachen, die herrschenden Sehgewohnheiten zu durchbrechen, reflektieren noch seinen Einfluß.
Hollywood ist die Drehscheibe der Stars und Regiegrößen, die hier heimisch sind, ohne hier zu wohnen. Seit Ende der zwanziger Jahre sind sie weggezogen, zuerst ins nahe Beverly Hills und Bei Air, dann weiter westlich nach Brentwood oder draußen nach Malibu; oder sie leben nun auf einer Ranch in Nevada oder in einem Luxusapartment am Central Park West auf der Insel Manhattan. Auch die Studiokomplexe, bis auf die von Paramount und ein paar kleinere, haben längst keinen Raum mehr in Hollywood, auch sie sind ausgewichen in umgebende Stadtteile und Vororte wie Burbank oder Culver City.
Ein kulturelles oder geistiges Zentrum läßt sich hier nicht ausmachen. Es ist das Mekka der Gesundheitsanbeter und Jugendlichkeitsfanatiker, der Schau-Platz der ewig Sonnengebräunten und Jogginggestählten. Der einzige Vorteil dieses Staates Kalifornien scheint tatsächlich – so packt es der „Stadtneurotiker“ von New York, Woody Allen, in eine spöttische Formel – darin zu liegen, daß man an der Verkehrsampel bei Rot rechts abbiegen darf. Hollywood ist intellektuelle Provinz, und wer mehr sucht als oberflächliche Parties und Barbecues, wer Gespräche jenseits von Mode, Gesundheit und Geldverdienen – und jenseits von Film – führen will, der dürfte sich an der Ostküste wohler fühlen. Kein Wunder also, daß die, die mit Hollywood und dem ganzen Sonnenstaat Kalifornien über Kreuz liegen, daß nahezu alle der in diesem Buch versammelten Frauen lieber in New York gelebt haben oder leben und immer wieder dorthin geflüchtet sind.
Warum gerade Hollywood? Warum wurde hier die Illusionsmaschine aufgeschlagen, wo doch die Wiege des amerikanischen Films an der Ostküste stand? Dies hatte, wie im übrigen nahezu alles in der Geschichte des US-Kinos, handfeste ökonomische Gründe – gepaart mit einer Portion Zufall. Die ersten der noch primitiven Filmstreifen wurden – bis in die zehner Jahre unseres Jahrhunderts hinein – überwiegend in New York und Umgebung heruntergekurbelt, dort, wo das Finanzzentrum der USA steht. Aber 1905 schon hatte sich das Jahrmarktsvergnügen zu einem einträglichen Geschäft entwickelt, und der einsetzende Konkurrenzkampf war heftiger geworden. Die Erfinder, Pioniere und Gerätehersteller schlössen sich daraufhin 1909 zur Motion Picture Patents Company (MPPC) zusammen. Der Trust reklamierte für sich sämtliche Patente und weigerte sich, an „Unabhängige“ Lizenzen zu erteilen. Seine Widersacher verfolgte er mit allen Mitteln: per gerichtliche Verbote, Klageandrohungen und Beschlagnahmungen und auch, wenn dies alles nicht fruchtete, mit angeheuerten Revolvermännern. Die schössen dann Löcher in die Kameras der illegal arbeitenden Filmcrews und trafen dabei auch schon mal einen Kameramann oder Darsteller.
Für die Independents empfahl es sich, aus der Gegend um New York zu verschwinden und nach Florida, Kuba oder Kalifornien auszuweichen. Besonders Südkalifornien bot Vorteile: Dort schien fast das ganze Jahr über die Sonne (auf die man beim Drehen angewiesen war), dort gab es abwechslungsreiche Landschaften. Grund und Boden waren nicht teuer, es war weit genug von New York und den MPPC-Monopolisten und nah genug an der Grenze nach Mexiko, wohin man sich schnell absetzen konnte, falls die Lage einmal allzu brenzlig wurde.
So stießen die Filmleute auch auf ein Nest namens Hollywood, wo günstig Land angeboten wurde. Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem Grundstücksspekulanten Harvey Henderson Wilcox gegründet worden. Seine Frau hatte auf einer Bahnreise den Namen „Hollywood“, was Stechpalmenwald bedeutet, aufgeschnappt, den sie als hübsch und wohlklingend empfand. Jedenfalls mehr als „Cahuenga Valley“, in dem das Ranchhaus der Wilcox stand. Sie taufte ihr Heim auf den neuen Namen, und ihr Mann benutzte ihn für sein riesiges Neusiedlungsgelände in der Nähe. Die Siedler ließen sich dort wie gewünscht nieder, und 1903 war Hollywood eine prosperierende Kleinstadt. Bereits vier Jahre später verschlug es die erste Filmcrew hierher, und im Jahre 1911 gründete die Nestor Company am Sunset Boulevard das erste Filmstudio. Im selben Jahr noch entstanden in dem 5000-Seelen-Ort 15 weitere Studios. Aus Hollywood, California, wurde Hollywood, die aufstrebende Filmkolonie.

*

Der Aufstieg Hollywoods zur Filmmetropole war jedoch nicht die einzige Auswirkung des „Patentkrieges“. Ein anderes, das Gesicht (nicht nur) der amerikanischen Filmindustrie prägendes Phänomen entsprang ebenfalls dem Konkurrenzkampf zwischen Monopolisten und Unabhängigen: der Star. Bis 1910 hatten die Studios des Trusts stets zu verhindern gewußt, daß die Darsteller und Darstellerinnen der Filmstreifen eine ähnliche Popularität erlangen könnten wie etwa die Theatergrößen am Broadway. Einzig der Name der Produktionsfirma sollte das Qualitäts- und Markenzeichen sein, das Zuschauer in die Kinos lockte. Man hielt die Filmakteure in der Anonymität. Alle neugierigen Anfragen von Kinogängern nach Informationen über die Darsteller wurden von den Studios negativ beschieden. Doch die Zuschauer spielten bei dieser Marktpolitik nicht mit. Sie kürten sich ihre Leinwandlieblinge selbst und gaben ihnen eigene Namen: Sie sprachen vom Biograph- oder Vitagraph-Girl, vom Fat Guy oder von Little Mary, dem „Verführer“ oder dem „Mann mit den traurigen Augen“.