19. Juli 1989

Jamie Lee Curtis


WENDE MIT WANDA

Erst Tochter von Tony und Königin des Horror-Films.
Dann Femme fatale und endlich Lorbeeren. 

JAMIE LEE CURTIS spielt alles - jetzt eine Polizistin

VON PAUL WERNER

Man mag sie sofort. Wahrscheinlich ist es diese Mischung aus Wildkatze und höherer Tochter, die sie so ungeheuer anziehend macht. Sie ist offen, schlagfertig, manchmal sogar tiefgründig. Was sie sagt, glaubt man ihr meist. Sie spricht mit dunkler Stimme, und sie geizt nicht mit den Worten „shit“ und „fuck“. Sie hat ein hübsches Gesicht, ohne wirklich schön zu sein. Ihr vielgerühmter Körper zeugt von Sport, Bodyshaping und vorsichtigem Umgang mit Nahrung. Man kann sich gut vorstellen, wie sie mit ihrem weißen Volvo zum Pazifikstrand fährt, um dort ein paar Meilen zu joggen, und dabei nicht einmal ins Schwitzen gerät. Falls es eine Personifikation des Californian Girl überhaupt gibt, dann ist es Jamie Lee Curtis.

Auch wenn sie, ihrem Aerobic-Film „Perfect“ zum Trotz, die Welt bislang mit einer Fitneßfibel verschont hat: Jamie Lee Curtis erinnert an Jane Fonda, vor zwanzig Jahren. Dieses Schwanken zwischen einer Ihr-könnt-mich-mal-Attitüde und der Sehnsucht nach Anerkennung - und dabei immer auf dem Sprung zu beweisen, daß die Kinder der Reichen und Berühmten es schwerer haben als andere. Bloß: Eine jugendliche Rebellin wie die Fonda hat Jamie Lee Curtis nie gespielt. „Ich bin ein Kind der Siebziger“, erklärt sie. „Haben Sie eine Ahnung, wie langweilig die Siebziger waren? Da gab's keinen Elvis, keine Beatles, kein Woodstock. Nichts, woran man sich halten konnte.“

Heute ist die 31jährige ein Filmstar auf der Suche nach Normalität. Ihr weißes, eher bescheidenes Haus im flacheren Teil von Beverly Hills sieht aus wie der wahr gewordene Traum vom gehobenen Familienheim: Doppelgarage, ordentlicher Rasen vor dem Eingang und eine geräumige Küche im Landhausstil. Jamie Lee Curtis wohnt darin mit Ehemann Christopher, zehn Jahre älter und als Schauspieler weit weniger bekannt als sie, und dem blonden Töchterchen Annie, das, knapp dreijährig, ihre Gedanken derzeit mehr beschäftigt als ihre Karriere.

Dabei kann sie auch anders. Da ist Jamie, die miniberockte skrupellose Juwelenräuberin aus „Ein Fisch namens Wanda“, die liebestolle Femme fatale, die alle Männer verführt und jedem Mann zu Füßen liegt, sofern er Fremdsprachenkenntnisse besitzt. Erst in dieser britischen schwarzen Komödie durfte Jamie Lee Curtis den Amerikanern zeigen, was sie alles hat. Eben mehr als Beine, Po und Busen - daß sie komisch sein kann und schlagfertig und daß sie schauspielerisches Talent besitzt.

Doch Jamie bleibt skeptisch, mißtraut der plötzlichen Anerkennung durch Publikum und Kritik. Mag sein, daß einen als Kind zweier Filmstars, aufgewachsen in Beverly Hills und mit dem Studiochef der Universal als Patenonkel, lange die Frage bewegt, ob man's auch alleine geschafft hätte. Und wahrscheinlich ist es wirklich nicht lustig, stets als „die Tochter von Tony Curtis und Janet Leigh“ vorgestellt zu werden oder dreispaltige Fotos vom Familienausflug in der „New York Times“ zu entdecken. „Als Kind versuchst du, eine Identität und ein Selbstwertgefühl zu entwickeln, und dieses ganze Hollywood-Zeugs verunsichert dich dabei nur!“ Wirklich schlimm wurde es, als das kalifornische Beach Girl 1975 in ein Internat an der Ostküste kam. „Damals wollte ich einfach nur dazugehören und nicht auffallen. Wenn die anderen Mädchen einen Pferdeschwanz trugen, kam ich am nächsten Tag auch mit einem. Die Musik, die sie hörten, wurde sofort meine. Ein Alptraum. Ich war nie wieder so deprimiert.“ Doch spätestens mit dem Motto, das sie bei ihrem Abgang von der Schule ins Jahrbuch drucken ließ, offenbarte sich eine andere Jamie: „Verrücktheit ist eine Tugend, die nur wenige erreichen“ stand dort zwischen hochgestochenen Sentenzen und gelehrigen Zitaten ihrer Mitschülerinnen, und: „Meine Brüste sind zwar nicht groß, aber sie gehören mir.“

Ihren inneren Widersprüchen und den Spätfolgen ihrer chaotischen Kindheit begegnet Jamie Lee Curtis mit ausgeprägtem Ordnungssinn. Das Haus ist aufgeräumt, das Leben wohlorganisiert, Verabredungen werden lange im voraus geplant. Muß sie verreisen, stehen die Koffer schon Tage vor der Abreise perfekt gepackt neben der Wohnungstür. Irgendwie scheint ihr ein wenig der kalifornische Optimismus zu fehlen. Sie traut ihrer selbstentworfenen Idylle nicht. „Es stimmt, daß ich die Dinge oft negativ sehe. Aber ich bin es auch, die die anderen immer wieder aufmuntert.“

Weil alles so wunderbar ordentlich bei ihr ist, läßt sich auch ihre Filmkarriere mühelos in drei Entwicklungsphasen unterteilen: Jamie Lee Curtis - der Schreihals, der Körper und die Schauspielerin. Phase eins beginnt 1978. Ohne eine Stunde Schauspielunterricht, aber mit viel Erster-Hand-Erfahrung aus dem Showbusiness, wird Jamie von einem dreißigjährigen Nachwuchsfilmer für einen billigen Horror-Streifen geholt. Für die Hauptrolle. Ergebnis: „Halloween“ entwickelt sich zum Megahit, läutet die Renaissance des Horror-Genres ein und macht den Regisseur John Carpenter reich und berühmt. Jamie Lee Curtis, deren fünfminütige Schreiarie in dem Film jeden Tarzan hätte neidisch werden lassen, erhält achttausend Dollar und den zweifelhaften Titel einer „Scream Queen“.

Nachhaltiger Effekt war, daß die 20jährige „Kreisch-Königin“ von nun an als Horror-Opfer Nummer eins abgestempelt schien. „Die Nacht des Schlächters“ oder „Monster im Nachtexpreß“ hießen die nächsten Werke. Was soll man auch erwarten, spottete eine Zeitschrift, wenn der Vater „Der Frauenmörder von Boston“ und die Mutter das spektakuläre Duschbad-Opfer in Hitchcocks „Psycho“ war? Mit ihrer Mutter Janet Leigh - die ihr inzwischen eine Freundin, kaum jedoch Beraterin in Karrierefragen ist - stand Jamie in „Nebel des Grauens“ dann sogar gemeinsam vor der Kamera.

Komplizierter gestaltete sich das Verhältnis zu ihrem Vater. Als Tony Curtis und Janet Leigh sich 1962 nach mehr als zehnjähriger Ehe scheiden ließen, war Jamie nicht einmal vier Jahre alt. Sie und ihre ältere Schwester Kelly kamen zur Mutter. Was der Vater machte, erfuhr Jamie Lee Curtis hauptsächlich aus den Klatschspalten der Zeitungen, zum Beispiel, daß er die 18jährige Christine Kaufmann heiratete. „Mein Vater war ein Fremder, dann sogar ein Feind“ - die liebevolle Bezeichnung „Daddy“ galt stets ihrem Stiefvater, einem Börsenmakler.

Erst Anfang der Achtziger fanden Jamie und Tony wieder zusammen, durch Alkohol und Kokain. „Damals habe ich mir mit meinem Vater des öfteren Drogen geteilt“, bekennt Jamie Lee Curtis freimütig. Der Unterschied war, daß Jamie, die Vernünftige, schnell davon wieder loskam und ihr unvernünftiger Vater bis heute nicht.

Die Filmbosse, die Jamie Lee Curtis damals immer neue Horror-Rollen antrugen, hatten nicht mit ihrem starken Willen gerechnet. Und nicht mit ihrer Angst, festgelegt zu werden. Lieber stellte sie in zwei reichlich spekulativen Fernsehfilmen das „Playboy“-Model Dorothy Stratten und eine Freizeitnutte dar. „Urplötzlich war ich ein Sex-Girl. Die Leute hatten mit einem Mal entdeckt, daß ich Brüste hatte.“ Ein kaugummikauendes Flittchen, schon mit Humor, folgte in John Landis' „Die Glücksritter“; dann, mit „Perfect“, war auch dieser Teil ihrer Karriere passé.

Genau wie ihre längere Beziehung zu dem britischen Pop-Sänger Adam Ant, die sie in die Klatschspalten gebracht hatte. Statt dessen begegnete sie Christopher Guest, mit dem sie inzwischen fast fünf Jahre verheiratet ist. Dabei ging es Jamie Lee Curtis nicht anders als gewöhnlichen Sterblichen: Sie entdeckte ihren Traummann in einem Magazin und verliebte sich in ihn, als er sie im Kino von der Leinwand herunter anlächelte. Im Unterschied zum normalen Fan jedoch war es für Jamie kein so großes Problem, an ihren Star heranzukommen. „In einem Anfall von Wagemut rief ich seinen Agenten an, sagte, daß ich Chris gerne kennenlernen würde, und hinterließ meine Telefonnummer.“ Es dauerte drei Monate, bis sie sich mit ihm traf. Die Rechnung vom ersten gemeinsamen Restaurantbesuch hängt heute in ihrer Küche an einem Ehrenplatz.

Für Jamie, zu der Zeit gerade mal wieder von irgendeinem amerikanischen Modeblatt zur perfekten Frau gekürt, war es ein harter Schlag, zu erfahren, daß ihr perfekter Körper keine Kinder bekommen kann. Sie und ihr Mann entschlossen sich zu einer offenen Adoption, bei der die Adoptiveltern und die Mutter des Kindes sich kennenlernen - in diesem Falle bereits vor Annies Geburt. „Um aus dem Schatten meiner Eltern herauszukommen“, sagte Jamie Lee Curtis einmal, „blieb mir nichts anderes übrig, als selbst ins Rampenlicht zu treten.“ Nun, da sie gezeigt hat, was in ihr steckt, und sie längst nicht mehr „die Tochter von...“ ist, scheint ihr das gar nicht mehr so viel zu bedeuten. Ein neuer Film, „Blue Steel“, in dem sie eine herbe New Yorker Polizistin spielt, ist abgedreht und kommt im Frühjahr 1990 bei uns in die Kinos. Doch das Familienleben spielt bei Jamie Lee Curtis derzeit die erste Rolle. Sie ist fest entschlossen, ihrer Tochter das Stück Normalität zu geben, das sie selbst in ihrer Kindheit vermißte. „Wenn ich zum Beispiel in Frankreich drehe, dann muß Annie ihr Leben ändern, muß mein Mann sein Leben ändern und mein Kindermädchen auch. Ich glaube nicht, daß das richtig ist.“

So hat sie sich nach fünfzehn Spielfilmrollen wieder für Fernseharbeit entschieden - für eine Komödienserie, in der sie eine Nachwuchsjournalistin bei einem Chicagoer Magazin darstellt. „Bis zu meinem Studio sind es nur anderthalb Blocks. Und an einer Halbstunden-Serie mitzuwirken ist das Bequemste, was man sich als Schauspieler aussuchen kann.“ Eine leidenschaftliche Liebe zu ihrem Beruf offenbart sich da nicht gerade. Jamie Lee Curtis weiß das. „Als Kind von Filmstars entwickelt man diese romantische Vorstellung von der Schauspielerei gar nicht erst“, stellt sie fest. Und betont, daß sie ihren Beruf nie mit Leidenschaft betrieben habe: „Aber mag sein, daß das noch kommt.“

in Viva Heft 7, 1989